„Jonušas – Himmel und Hölle sind mein“

(D 2004, 65 Min., Regie: Helmut Schulzeck)

Ein Film über Eduardas Jonušas (geb. 1932), litauischer Maler, Bildhauer, Künstler-Philosoph und Poet auf der Kurischen Nehrung. Ein Mensch zwischen Albtraum und Kunst, die sich Raum in apokalyptischen Weltdeutungen schafft und es dem Künstler ermöglicht, seine Traumata zu bewältigen. Der Film taucht zusammen mit Jonušas in seine Vergangenheit ein: Kindheit in ländlicher Idylle, sowjetische Invasion am Oderbruch 1945, Folter in den Kellern des KGB sind einige der Stationen des Protagonisten. Ob im schlitzohrigem Widerstand gegen die Schikanen des KGB in den 60er und 70er Jahren oder im Freiheitskampf gegen die russischen Panzer 1991 in Vilnius, immer weiß sich Jonušas zu wehren.


Tiefe Wurzeln – Eduardas Jonušas und die Kurische Nehrung

Im August 1997 drehte ich mit meiner Mutter, die 1923 als Tochter eines Fischer in Nidden geboren wurde und dort bis Weihnachten 1944 aufwuchs, einen Dokumentarfilm über ihre Kindheit und Jugend auf der Kurischen Nehrung („Ich bin kein wildes Mädchen mehr“, 1999). Wir trafen Eduardas Jonušas, weil er den einzigen Kurenkahn in Nida besaß und wir unbedingt auf diesem Keidelkahn drehen wollten, den er nachgebaut hatte. Eduardas hat trotz seiner zurückhaltenden Art besonders zu meiner Mutter sofort ein selbstverständliches Zutrauen gefasst, vielleicht weil sie eine alte Kurin war, und war deshalb, so schien es mir, uns gegenüber für seine Verhältnisse sehr entgegenkommend und offen. So entstanden im diesem Sommer und ein paar Jahre später wunderbare Aufnahmen mit Eduardas auf seinem Kahn, die ahnen lassen, dass er mit seinem urwüchsigen Wesen und seiner starken Art ein Seelenverwandter der ursprünglichen Bevölkerung der Nehrung, der Kuren, war.

Eduardas Jonušas am Bach der Renavas (Foto: Helmut Schulzeck)

Als wir im darauffolgenden Januar noch einmal für unseren Winterdreh in Nida waren, verbrachten wir fast jeden der langen Abende in seinem gemütlichen Atelierhaus. Wir tranken Schnaps mit darin aufgelösten Bernstein und filmten alle seine Bilder im Obergeschoss. Er erzählte uns von seinem Leben, seinem harten Schicksal in der Nachkriegszeit und seiner Malerei, deren Kunst sich besonders in den apokalyptischen Zyklen offenbart. So reifte bei uns (meinem Kameramann Frank Fiedler und mir) der Plan, einen Film über ihn zu machen. Es dauerte noch ein paar Jahre, bis ich die Finanzierung dafür zusammen hatte und wir uns an die Realisierung machen konnten. Entstanden ist so der 65-minütige Film „Jonušas – Himmel und Hölle sind mein“ (2004), meines Wissens der ausführlichste Dokumentarfilm, der seinem Leben und Schaffen gerecht zu werden versucht.

Eduardas wusste viel über die ursprünglichen Bewohner der Nehrung, hatte ihren alten Fischerfriedhof restauriert, war tief in die Volkskunde der Kuren mit ihren Sitten und Gebräuchen eingedrungen, hatte sich nicht nur die litauische Sagenwelt der Neringa erschlossen, sondern auch die kurischen Geschichten mit all ihrem Aberglauben. So sagte er mir während unserer Dreharbeiten, als ich ihm von meiner ziemlichen abergläubischen Urgroßmutter und dem Lehrer meiner Mutter erzählte, der Spukgeschichten sammelte:

„Ja die Kuren hatten verschiedene Legenden und Märchen und Lieder, sie hatten alles. Nur, dass sie später nicht mehr gesungen haben. Aber sonst, früher sangen sie.“

Ich erzählte ihm aus einer kurischen Geschichte von einem Wesen, von dem man sagte, dass es aus einem siebenjährigem Hahnenei ausgebrütet werden soll. Dann würde ein kleiner Geist ausschlüpfen und wäre einem auf ewig zu Diensten. Eduardas erwiderte:

„Kuren haben solche Legenden. Die kannten überhaupt keine Eier. Sie brüten ein Fohlen auf einem Kohl im Sitzen aus. Es war so eine Legende. Da hier niemand den Boden bearbeitete, wussten sie vieles nicht.“

Ein Credo über seine geliebte Nehrung und sein Verhältnis zu ihr gibt Eduardas gegen Ende des Films:

„Ich wünschte, dass die Neringa so, wie sie ist, mit der Leinenkleidung bleiben würde und nicht mit Nylons – dass man sie nicht zu viel ausschmückt – dass man sie nicht zu viel schminkt, sondern dass man sie so lässt wie ihre Natur ist. Nein, sie ist sehr spröde. Nicht jeder Schmuck passt zu ihr. Man darf sie nicht mit irgendwelchen Diamanten schmücken. Sie hat ihren eigenen Schmuck, eigene Bernsteine. Die alten Bewohner waren wie die Kleidung der Neringa, sie passten zu ihrem Körper.“

Und etwas später sagt er über die Nehrung und sich: „Sie ist mir wie ein Heimatland, wie eine echte Heimat. Ich bin mit der Natur, mit allem verwachsen. Ich habe mich der Natur und allem angepasst. Es scheint mir, dass auch die Natur sich mir angepasst hat. Hier sind die Bäume vom Wind zerzaust. Ich bin auch vom Leben zerzaust. So sind meine Gemeinsamkeiten mit der Neringa, meinem echten Zuhause. Und tiefe Wurzeln, tief in den Sand gewachsen.“

Helmut Schulzeck


Mi, 15.1.2020, 19 Uhr, KulturForum in der Stadtgalerie Kiel
(Andreas-Gayk-Str. 31)

Eintritt: 5 € (erm. 3 €, Geflüchtete frei)

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