„Ritual“

(D 2019, 69 Min., Regie: Kai Zimmer)

Flagellanten säumen den Prozessionsweg. (Foto: Kai Zimmer)

Alle sieben Jahre im August ist die 80 km nördlich von Neapel gelegene Kleinstadt Guardia Sanframondi für eine Woche im Ausnahmezustand. Unter Beteiligung eines Großteils der 5.000 Einwohner werden in einer Prozession biblische Szenen aus Altem und Neuem Testament sowie Märtyrergeschichten unter großem Aufwand von Kostümen und Requisiten als lebendige Standbilder nachgestellt, begleitet von einem Zug von Flagellanten und Battenti, die sich mit Ketten und einer nadel-gespickten Spugna blutig schlagen. Dieses archaisch anmutende Ereignis dokumentiert Kai Zimmer in seinem 69-minütigen Film „Ritual“.

Die Prozession erstreckt sich in mehreren Teilen über sieben Tage und ähnelt einem Passionsspiel. Zimmer zeigt die Prozession und das kleinstädtische und ländliche Leben drumherum mit meist unbeteiligt beobachtender, statischer Kamera. Informationen über die Geschichte und Symbolik der „Riti settennali in onore dell’assunta“ erhalten die Zuschauer über Interviews unter anderem mit einem der „Regisseure“ der in über 100 Bildern dargestellten Szenen.

Alessia Tudda umrahmt den Film als symbolische Tänzerin des Lebens an sich. (Foto: Kai Zimmer)

Aber wie in Zimmers eher essayistischen als bloß dokumentarischen Arbeiten üblich, weisen die Filmbilder besonders in der Art ihrer Montage weit über sich hinaus und entwickeln eigene symbolische Dimensionen: zum Beispiel in leitmotivisch wiederkehrenden Szenen der Zubereitung einer Tomatensauce, die mit Aufnahmen von den sich blutig schlagenden Geißlern montiert werden. Das Blut der Passion wird so mit der alltäglichen Lebenswelt verknüpft und macht das religiöse Ritual, das für Mitteleuropäer zunächst fremd wirkt, als eines erfahrbar, das in das gelebte Leben unmittelbar eingebettet ist. „Es ist mehr als nur eine Prozession mit bewegtem Live-Kino auf der Straße“, sagt Kai Zimmer. „Es ist das Leben an sich.“

So ist der Film auch eine Verbeugung vor (süd-) italienischer Kultur und Lebensart, in denen Geistliches und Sinnliches eng miteinander verbunden sind. Das verkörpert die Tänzerin Alessia Tudda. In Szenen, die den Film umrahmen, „tanzt“ sie das Leben selbst.

Mi, 15.9.2021, 19 Uhr, KulturForum in der Stadtgalerie Kiel
(Andreas-Gayk-Str. 31)

Eintritt: 5 € (erm. 3 €, Geflüchtete frei)